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Was ich mache, wenn ich nicht schreibe?

oliwia.substack.com

Was ich mache, wenn ich nicht schreibe?

Eifersucht, Neid und die Anderen. Gegen das Gefühl nicht genug zu tun. Und: Jeder Tag ist der 08. März.

oliwia marta haelterlein
Mar 9
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Was ich mache, wenn ich nicht schreibe?

oliwia.substack.com

Guten Tag!

Bevor ich beginne meine Gedanken zu teilen, hier etwas Morgenspaziergang.

So sieht er aus:

So klingt er:

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Gestern habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich so selten hier meine notatka in die Welt schicke. Ich habe mich gefragt, wie oft zu oft ist und wie selten zu selten ist. Ich habe mich auch gefragt, was ich tue, wenn ich nicht schreibe. Ich habe ohne zu überlegen “leben” auf meinen Zettel geschrieben.

Vor einem Jahr (01.03.) habe ich mich mit meinem Buchprojekt am DLL in Leipzig beworben. Der Jahrestag hat mich gleichzeitig glücklich und stolz gemacht, aber auch traurig. 1 Jahr und mein Buch ist immer noch voller Baustellen und Fragezeichen und nicht fertig. Wenn man mich fragt, gebe ich zu: Ich schreibe langsam und brauche viel Zeit. Auch habe ich (nehme ich mir?) wenig Zeiträume, also mehrere Tage hintereinander, die ich nur für das Schreiben habe, um richtig einzutauchen. Mein Alltag ist oft zerstückelt. Auch sind die im Buch enthaltenen Themen mir oft sehr nahe, was es nicht leichter macht. Die vielen historischen und politischen Inhalte müssen außerdem gut recherchiert werden …

Ich weiß nicht, wie andere das machen. Vielleicht denken sie schneller oder anders, aber ich braucht viel Zeit, um über das nachzudenken, was ich schreiben möchte, ich brauche lange, um über Hindernisse zu trauern, alternative Lösungen zu erschreiben und: ich benötige viel Motivation und Inspiration von außen. Diese hole ich mir in Büchern, Filmen, Serien und in Gesprächen mit Menschen und Podcasts. Zum Schreiben gehört auch denken, reden, schlafen und träumen. Das ist nicht sofort sichtbar auf Papier.

Was mich aber immer einstimmt: Mein liebster Literaturpodcast - ja, ich werde ihn wahrscheinlich forever teilen, weil er so großartig ist! Between the Covers - hier ein Gespräch mit Hélène Cixous über ihr Schreiben.

Ich würde lügen, würde ich sagen, es lässt mich kalt, was andere machen. Ich bewundere Menschen, die innerhalb weniger Monate ein Buch schreiben und publizieren. Ich bin auch oft neidisch und eifersüchtig auf andere Autor*innen. Ich wünschte manchmal, ich wäre wie diese Menschen und suche immer nach den Gründen, warum ich anders bin. Manchmal erschrecke ich auch, wenn ich Bücher lese, die ähnliche Inhalte haben wie meins. Dann denke ich sofort: Ich bin zu spät! Besonders in solchen Momenten frage ich mich, was ich aktiv ändern könnte, um schneller und routinierter zu schreiben.

Ich bin eine Sprinterin und keine Marathonläuferin. Ich kann mich zu nichts zwingen!

Ich denke auch oft über mein Alter als Autorin nach. Damit meine ich: Wann bin ich zum Schreiben wie gekommen? Wie lange tue ich das schon? Bin ich eigentlich schon erwachsen? Und ich finde, ich bin noch ein Küken. Ich lerne noch und bin manchmal noch ganz schüchtern und unbeholfen. Vor allem wenn ich mich vergleiche mit Menschen, die schon mit 18 ihr erstes Buch verfasst haben, die in meinem Alter schon Preise und Stipendien erhalten haben, im Ausland gelebt haben. Oder auf einem Gymnasium waren, im Literaturbetrieb groß geworden sind, Eltern und Verwandtschaft haben, für die Literatur und Kunst zum Alltag gehören.

Außerdem gibt es ja auch noch “leben”.

Es ist nicht so, dass ich entweder schreibe oder nicht-schreibe. Oder dass sich dieses Nicht-Schreiben in sehr traurigen, antriebslosen Situationen kenntlich macht, in denen ich einsam und inneren Konflikten ausgeliefert bin und mich ablenke und destruktiv verhalte … (was aber auch ab und an der Fall ist). Es ist vielmehr die Bewertung, die schmerzt, wenn ich mich an geschriebenen Seitenzahlen und verstrichenen Wochen und Monaten messe.

Vor ein paar Tagen saß ich in der Sonne auf dem Balkon und musste mir eingestehen, dass ich polyamourös bin. Vielleicht überrascht dieser Begriff in diesem Kontext, aber es trifft es sehr gut. Ich liebe nämlich viele unterschiedliche Dinge, Handlungen und Menschen. Ich brenne für so vieles. Auch wenn ich das Schreiben sehr liebe, so kann ich mich aber nicht nur dem Schreiben verschreiben. Das mag so banal klingen, aber für mich ändert es viel an meiner Sicht auf mich selbst und auf meine Produktivität. Ich interessiere mich für mehrere Dinge, auf die ich nicht verzichten möchte. Auch wenn ich gehofft hatte, dass das DLL mich dazu motivieren wird, alles andere erstmal auf Eis zu legen und mich nur noch wie eine Autorin zu verhalten. Ich selbst hab ja überhaupt keine Ahnung, was das heißen soll, sich wie eine Autorin zu verhalten. Wenn ich schreibe, fühle ich mich immer wie eine Autorin. Wenn ich auf meine Publikationsliste schaue, weniger.

Mit “leben” meine ich aber nicht nur die Sachen, womit ich Geld verdiene oder die ehrenamtlichen und künstlerischen Beschäftigungen. Ich meine damit meine Beziehungen zu Menschen und zu meinem Hund. Ich habe sehr gerne Freizeit. Am Telefon, bei Spaziergängen, beim gemeinsamen Essen, Matcha Latte trinken. Ich plane gerne Besuche und gemeinsames Feiern. Mit den meisten Menschen überschneidet es sich auch, das Leben und das Arbeiten. Da bin ich in einer sehr glücklichen Lage, dass ich mir (fast immer) aussuchen kann, mit wem ich zusammenarbeiten möchte!

Auch lerne ich gerne neue Menschen kennen, was auch nicht leicht ist, da ich nur schwer oberflächliche Verbindungen eingehen kann. Das bedeutet, ich möchte für meine Freund*innen da sein und mein Leben mit ihnen teilen. Was schwer ist, wenn ich pendle, schreibe und meinen weiteren Beschäftigungen nachgehe. Auch da melden sich meine hohen Ansprüche an mich selbst. Keine Ahnung wie ich Arbeit definieren soll, aber auch Beziehungen sind Arbeit! Dazu kommt das Leben selbst, welches viel zu bieten hat: Eine Freundin hat kürzlich ihre Mutter verloren, gleich zwei haben ihre langjährigen Beziehungen beendet, eine ist zu mir gezogen und eine weitere hat gestern ein Baby geboren.

Manchmal überkommt mich das Gefühl - und ich beobachte dieses Verhalten auch bei anderen - ich müsste soziale Kontakte und Interaktionen reduzieren oder absagen, um einen Zeitplan einzuhalten, um Karriere zu machen, um mehr zu erreichen und kommerziellen Erfolg zu haben. Die erholsame Freizeit vs. die Zeit an der Karriere zu arbeiten. In meinem Fall: Am Buch zu schreiben. Es ist kompliziert. Ein Tag hat nur 24 Stunden und ich habe viele Bedürfnisse.

Letztens hat eine Freundin zu mir gesagt:

Noch nie ist jemand gestorben und hat sich gedacht: hätte ich nur mehr gearbeitet.

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Gestern habe ich den Tag mit zwei Freundinnen und Pancakes auf der Couch verbracht. Wir haben den 08. März zum Ausruhen genutzt. Für uns ist schließlich jeder Tag der 08. März.

Wir haben über unseren Alltag und das sich Vergleichen mit Anderen und Neid und Eifersucht gesprochen (hier ein toller Podcast, der versucht diese beiden tabuisierten Gefühle zu erklären) und darüber, wie wir selbst bei unseren Freund*innen diese Gefühle nicht abstellen können.

Beispiel: Die eine Freundin publiziert im Moment regelmäßig in einem Onlinemagazin gegen Bezahlung. Ich lese manchmal ihre Texte gegen, überprüfe sie auf Rechtschreibung, oder ob das Argument stimmig ist, etc. Ihre Inhalte überschneiden sich ein wenig mit meinen, aber sie hat eigentlich einen ganz anderen Schwerpunkt und sie bräuchte mein Gegenlesen auch überhaupt nicht. Ich freue mich trotzdem sehr, dass sie ihre Texte mit mir teilt und ihr meine Meinung wichtig ist. Wenn sie diese veröffentlicht, denke ich auch jedes Mal: “Ich sollte auch mehr publizieren!” oder “Warum habe ich keine Plattform und Onlinemagazin, dass meine Texte veröffentlicht und mich dafür bezahlt…”

Diese inneren Reaktionen auf ihre Veröffentlichungen habe ich gestern mit den Beiden geteilt und die Person, die publiziert, war total überrascht und auch etwas befangen. Witzigerweise löst das Publizieren auch bei der dritten Person - und das obwohl sie gar keine Autorin ist - auch Eifersucht bzw. den Drang aus, mehr tun zu müssen. Das war total absurd zu hören und hat uns auch klar gemacht, wie viel wir jeweils in andere Menschen hinein-interpretieren, was wir bei anderen als Erfolg anerkennen, während wir unsere eigene Arbeit und Leistung als weniger Wert betrachten. Selbst bei Menschen, die uns nahe stehen! Für mich ist es immer wieder befreiend, über dieses “ich mache nicht genug” zu sprechen und auch zu merken, ich bin nicht alleine mit den Gefühlen Eifersucht und Neid. Aber auch weiterzudenken: Wofür wünsche ich mir mehr Sichtbarkeit und Anerkennung?

Vielleicht löst meine notatka auch in dir das Verlangen aus, einen eigenen Newsletter zu verfassen? ;)

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Warum ich das hier teile? Zum einen möchte ich versuchen all diese Emotionen, die in mir aufkommen beim Schreiben und Nicht-Schreiben und Vergleichen mit anderen Autor*innen nicht zu dämonisieren oder zu tabuisieren. Zum anderen sehe ich darin aber auch eine Reaktion auf das System, in dem wir leben. Es ist wichtig, da hinzuhören und nicht die Schuld bei sich alleine zu suchen!

Wie ein kapitalistisches System funktioniert, muss ich hier ja niemanden erklären, richtig?

Was ich aber betonen möchte, ist folgendes: All meine Freund*innen (ausgenommen die Cis-Männer in meiner Bubble), die ähnliche Dinge wie ich machen (queer*feministischer Aktivismus, Kunst- und Kulturbereich, freiberuflich sein …), leben gleichzeitig viele Leben und haben einen sehr hohen Anspruch an sich selbst, möchten viel geben und verändern. Sie arbeiten meist unbezahlt, in mehreren Projekten parallel, sie reisen dafür umher und sind ehrenamtlich und politisch aktiv. Sie bilden sich ständig weiter, inhaltlich und beruflich in Workshops, Seminaren und Retreats (geben dafür viel Geld aus), sie entwickeln permanent neue Formate, um zu vermitteln und zu kommunizieren … Sie geben auch privat viel: Sie machen Therapie, Sport, denken über alternative Beziehungs- und Lebensmodelle nach, mikro-managen oft die eigene Liebesbeziehung alleine, checken ihre Privilegien, fühlen sich schlecht, wenn sie bei H&M einkaufen (auch das war Thema gestern), obwohl sie kein Geld für Fair Fashion haben, übernehmen kostbare und oft unsichtbare emotionale community care-Arbeit; manche davon haben auch Kind(er) und sind alleinerziehend oder betroffen von Mehrfachmarginalisierungen usw. … Dazu kommt für die freiberufliche Person die ganze Arbeit rund um social media, Selbstvermarktung, Akquise, finanzielle Verhandlungen, Abrechnung, Steuer, Versicherung, etc. dazu.

Klingt viel, oder?

Um es kurz zu machen: Viele sind so erschöpft und wünschen sich endlich auch eine Art von Wertschätzung, Anerkennung, Sichtbarkeit und finanzielle Sicherheit. Ich bin immer wieder überwältigt und überrascht, wie viele meiner Freund*innen sich selbst, ihre Fähigkeiten und Inhalte so abwerten. Während andere im Vergleich oft überhöht werden. Auch beobachte ich, dass gerade diese Menschen, die alles geben, um auf Missstände und Diskriminierungen hinzuweisen, oft die sind, die selbst auch welche erleben. Was es doppelt so anstrengend macht! Schlimm und traurig, wenn es dann keine Solidarität untereinander gibt, keine Unterstützung, Verständnis und Wertschätzung. Schlimm auch, wenn dann der Eindruck entsteht, alle anderen machen alles viel schneller und besser.

Gestern haben wir den feministischen Kampftag dazu genutzt, um uns auszuruhen. Ich habe mir auch für die Zukunft vorgenommen, dieses fiese Gefühl, selbst gerade nicht genug zu tun (für mich und andere), zwar wahrzunehmen, aber nicht zu glauben.

Jeder Tag ist 08. März: Für Menschen, die sich so gar nicht für feministische Forderungen interessieren - vielleicht wäre es spannend sich darüber Gedanken zu machen, woran das liegt?

Für alle, die noch am Lesen sind.

Bogen zurück zum Schreiben: Gestern habe ich auch wieder an Kathleen Hanna gedacht. Sie ist bekannt geworden als Gründerin der Band Bikini Kill, Le Tigre und der riot grrls Bewegung der ´90er Jahre in den USA. Ich denke oft an sie, wenn ich an mein Schreiben denke. In einem Interview (siehe unten) sagt sie, sie beginnt zu schreiben, weil ihr niemand zuhört. Ich denke oft an sie, wenn ich mich nicht traue zu schreiben, sie inspiriert und empowert mich.

In der Doku The Punk Singer erzählt sie auch von der Angst, dass das Erlebte nicht gehört und geglaubt wird, weil sie eine Frau ist. Das all die sexistischen Diskriminierungen und die sexualisierte Gewalt, die sie erlebt hat, durch die Menge der Ereignisse niemals als wahr anerkannt werden. Als sie aber beginnt, diese Erlebnisse in Spoken Word Poetry und Zines und später in Songs öffentlich zu machen, schenken Frauen und Betroffene ihr Glauben. Mehr noch: Kathleen Hannas Texte ermutigen andere, eigene Erlebnisse und Ungerechtigkeiten zu teilen.

Hier zum Schauen:


Hier zum Lesen:

In ihrem Schreiben und Musikmachen geht es sehr viel um sagen was ist und gemeinsames dafür und dagegen sein. Und schon auch darum, unbequem und zu laut zu sein. Das resoniert so stark mit mir und jedesmal wenn ich die Doku sehe oder ihre Musik höre, fühle ich mich eingeladen, auch meine Erlebnisse zu teilen. Einfach zu schreiben, wie ich bin, ohne nach Erlaubnis zu fragen oder nach bestimmten Regeln zu spielen. Oder Angst zu haben, den anderen Menschen zu viel zu sein.

Schreiben ist auch deshalb etwas, dass ich schaffen möchte außerhalb dieser Kategorien von genug, Neid und Eifersucht. Schreiben ist etwas, dass ich immer tun möchte, weil es zu mir gehört und nicht, um mich zu vergleichen oder besser oder schneller zu sein. Oder mir selbst fürs Nicht-Schreiben ein Scheißgefühl zu geben. Schreiben ist für mich etwas körperliches und geistiges gleichzeitig. Gerade wenn ich es als einen Teil von mir ernst nehme, so wie einen Körperteil, meinen Bauch oder meinen Fuß, dann wäre es nur krasse Selbstverletzung, wenn ich mich ständig dafür abwerten und bestrafen würde. Das schreibe ich hier auf als Erinnerung. Für mich und alle anderen, die schreiben.

Danke sehr fürs Lesen! Das bedeutet mir viel.

oliwia

p.s.:

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Falls du mich als Autorin noch mehr unterstützen möchtest:

Eine Einladung auf einen Matcha Latte macht mich sehr glücklich!

  

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2 Comments
Vivian Sper
Writes Der schöne Schein
Mar 13

Fühle ich sehr! Musste gerade bei dem Punkt, dass mensch halt auch ein Leben hat, an ein Zitat von Marlee Grace denken: Stop trying to be less, to be excited about less, to be called towards less.May you have so many things you love you can’t decide which to love next

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Silvia
Mar 10

Vielen herzlichen Dank für´s Teilen dieser Gedanken, ich bin angesprochen und fühle mich verstanden. Es tut wohl. Danke

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