Jedes Thema verdient einen eigenen notatka Eintrag.
Also ist das hier eine Art preview, ein Cliffhanger und ein coming soon.
Bookcover “Revenge of the scapegoat” by Caren Beilin (A Female Artist by Ernst Ludwig Kirchner)
notatka numer 3 - kurz vor Juni 2022.
Sheila Heti: What is the most important reason, for you, to write and read fiction? Or why does one publish?
Caren Beilin: I think it’s about friendship, connection, affinity. And really, to be blatant, it’s anti-suicide. When I read Violette Leduc—when I read her brazen brain full of beaks and throbbing birds, of paradise, when she grinds her elbow into her writing desk, and cycles through worship and renunciation like a demon—I know that it is okay for me to exist. And when a writer friend asks after my work, or shares their work with me, or when they literally shelter me for months or years, I have a place on this earth. Language—pursuing it—can give you a life. Why does literature need to be about teaching the masses how to empathize? That’s not even realistic. Who are these masses who are clumping around pieces of literature, I mean, besides a blatantly fascistic literature? No, the people you will write for will be the people who are seeking you. Your friends, or friends to your mind and your language, maybe even to your cause. That is good enough.
Noch habe ich kein Gefühl dafür, wie oft, an welchen Tagen und zu welchen Themen ich hier was verfassen möchte. Ich bewundere Menschen, deren Newsletter und Gedanken bei mir wöchentlich zur gleichen Zeit im Mailfach landen. Aber ich merke auch, dass ich das zwar an anderen schätze und mich daran orientiere und inspiriere, aber mich selbst mit solchen auferlegten Regeln und Kategorien von außen nur unter Druck setze.
Dabei merke ich: Ich habe so vieles, was ich hier teilen möchte.
Das überrascht mich, weil ich auf Instagram sehr schlecht im Posten bin und zu verkopft und zu shy bin, um regelmäßig meine Erlebnisse, Gedanken und Veranstaltungen zu teilen. Hier aber habe ich das Gefühl, es gibt genug Platz, um mich auszubreiten und meine ganzen wirren Gedanken und Ideen wie einzelne Tortenschichten zu präsentieren.
In meinem Notizbüchlein stehen viele Themen und Erinnerungen und ich kann mich nicht entscheiden. Jeder dieser Punkte verdient einen eigenen notatka Eintrag.
Also ist das hier eine Art Preview, ein Cliffhanger und ein coming soon.
Ich möchte gerne schreiben über
· letzte Woche, da war ich in Göttingen:
Dort gab es ein Fotoshooting – ich wollte ernsthafte Fotos, die mich professionell erscheinen lassen, aber nicht zu streng (wie manchen Fotos von mir nachgesagt wird). Das Ergebnis: Wieder einmal habe ich mich posierend vor einem Rosenbusch im Vorpark des Göttinger Theaters vorgefunden. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich ständig versuche nicht görli-haft zu wirken und dabei all dieses görli-zeug aber auch innig liebe. Wie ambivalent doch mein Verhältnis zu meinen Vorlieben und meiner public persona ist. Auch frage ich mich, ob ich seit einigen Jahren vielleicht unbewusst versuche, mich selbst zu dokumentieren und versuche meine Veränderungen auf den Fotos wieder-zu-erkennen?
· ein Treffen mit einer lieben Person in Göttingen und unsere Gespräche über unsere Brüste, über Therapie, über Sexological Body Work. Darüber, dass ich viel zu selten über meine Brüste spreche und nie darüber schreibe. Dass ich mittlerweile über alle Körperteile mit jeder Person sprechen kann, aber nie über meine Brüste. Gibt es hier Menschen, die dazu Workshops geben? Das ist definitiv einen baldigen eigenen Eintrag wert.
· den Schulbesuch mit dem Literarischen Zentrum Göttingen an der Kooperative Gesamtschule Gieboldehausen (Nachholtermin vom Januar). Meine Erfahrungen teilen, wie es ist, vor 60 Schüler*innen (9. + 10. Klasse) über den Mythos Jungfernhäutchen und Slutshaming zu sprechen. Danach am Nachmittag vor 15 Biolehrerinnen, die von der Schulleiterin zu einem Workshop bei mir verpflichtet wurden. Wie es sich anfühlt, darauf hinzuweisen, dass die Infos in den Schulbüchern falsch sind, die Begrifflichkeiten, die genutzt werden cis-, heteronormativ und trans-exklusiv (und so viel mehr!) sind und was der Mythos mit Sexismus und Patriarchat zu tun hat.
· meine anschließenden Tage in Berlin: Mein Gespräch mit Freundin und Lektorin darüber, wie vulnerabel ich bin, wenn ich einen Text einsende und er wieder zurückkommt mit 100 Anmerkungen (ich übertreibe nicht immer), korrigiert und lektoriert von acht verschiedenen Menschen, die ich nicht kenne und ohne es vorher mit mir abgesprochen zu haben. Ob es Menschen, die Texte von anderen lektorieren und korrigieren auch bewusst ist, wie ihre Anmerkungen und Kommentare rüberkommen? Warum gibt es keine Workshops für Lektor*innen zum Thema: Emphatisches kommunizieren über die Texte Anderer?
· wie seltsam, absurd und irgendwie falsch es sich auch anfühlt, meine unveröffentlichten Texte an Menschen zu schicken, die ich nicht kenne, um dafür Geld (Stipendien, Förderungen) oder Einladungen (zu Werkstätten, Workshops, Publikationen) zu bekommen. Wie nackt und durchsichtig und bedürftig ich mir vorkomme, wenn ich diese Texte mit meinem Lebenslauf, Wünschen und Hoffnungen etc. an eine Auswahlkommission schicke, die ich nicht kenne, wo ich vorab (oder im Nachhinein) nur sehr selten! erfahre, wer meine Texte lesen und bewerten wird. Wie wütend mich diese „Don´t call us – we call you“ Mentalität macht. Wie scheiße ich es finde, dass es mich so runterzieht, wenn ich nicht mal eine Absage bekomme. Außerdem frage ich mich: Wie kann ich meine Gedanken und Texte in so einer Situation schützen, wenn ich nicht weiß, wer sie zu Gesicht bekommt? Wie kann ich mich vor Meinungen anderer schützen, wenn ich sie so sehr brauche, um gelesen und bezahlt zu werden?
· das Endometriose Yoga, wo ich als Gästin dabei sein durfte und den Vagus-Nerv, der dort Thema war. Wie ich endlich verstanden habe, wie ich ihn stimulieren und mit ihm kommuniziert kann.
· Menstruation.
· wie ich es liebe, seit über fünf Jahren in Berlin nur noch Besuchende zu sein, wie ich die Stadt so sehr vermisse und mich sofort wieder wie Zuhause fühle und wie froh ich doch auch bin, wieder abzureisen.
· wie es einer meiner Texte nicht in einen wissenschaftliche Tagungsband geschafft hat (habe dort auf einer Konferenz zwei Workshops zum Mythos Jungfernhäutchen und feministische Pornographie veranstaltet), weil ich nicht weiß, wie ich common sense stuff wie Alltagssexismus und Gespräche und Erfahrungen aus meinen Workshops, Lesungen und in social media Räumen wissenschaftlich belegen kann, wenn ich bspweise. keine empirischen Studien dazu durchführe (was ich nicht tue).
Ausschnitt aus meinem Text, der eine essayistische Reflexion zu meiner Publikation „Das Jungfernhäutchen gibt es nicht“ (Maro Verlag, 2020) und meinen Erfahrungen der letzten zwei Jahren bei Lesungen und Workshops ist:
Meine Arbeit besteht die meiste Zeit darin, Menschen zu beweisen, dass wir ein Problem haben, weil sexistische und misogyne Gedanken und Bezeichnungen vorherrschen: am Küchentisch, im Fernsehen, in der Schule, im Medizinstudium, bei gynäkologischen Untersuchungen, in Gesprächen und nicht zuletzt in Schlafzimmern. Es wird erzählt, dass es ein Häutchen gebe, dass nur Jungfrauen haben, Schmerzen beim Sex normal seien und dass Jungfrauen mehr wert sind als die, die schon Sex hatten.
Kommentar einer wissenschaftlichen Stimme dazu:
„Bitte belegen! Worauf stützen Sie diese Aussage?! Gibt es dazu Studien? Haben Sie eine Umfrage gemacht, eine Erhebung von Daten durchgeführt? Ich habe das in den Kontexten, die Sie nennen, selbst noch nie gehört, und auch noch nie von jemandem anderen gehört, dass ihnen das erzählt wurde! Daher möchte ich als Leser*in mit Studien o. ä. überzeugt werden!!!“
Dazu gibt es sehr viel Schreibbedarf: Wie sehr wir doch über die Kategorien Aktivistin und Künstlerin (nicht objektiv) und Wissenschaftlerin (objektiv) sprechen müssen. Wie beweisen Betroffene ihre Diskriminierungen? Wie ernsthaft ich mich darin bestätigt fühle, dass ich nicht geeignet für eine wissenschaftliche Karriere war und bin und wahrscheinlich auch nicht mehr als Kulturwissenschaftlerin angekündigt werden sollte. Wie viele Stunden unbezahlte Arbeit ich in diesen Text gesteckt habe und als „polemisch“ bezeichnet werde und mich ungenügend fühle, obwohl ich mit meinem aktivistisch-künstlerisch-wissenschaftlichen-hybrid Format so willkommen geheißen wurde. Es wurde als eine offene Plattform für Interdisziplinäres und Experimentelles angekündigt und jetzt werde ich mit unzähligen Schleifen und Kommentaren darauf hingewiesen, dass ich unwissenschaftliche Dinge behaupte. Zu oft habe ich schon solche Versuche scheitern sehen. Erst offen für alle, aber dann müssen sich diese Alle nach den Regeln des Elfenbeinturms benehmen, sonst fliegen sie raus.
Dies drei !!! - empfindet das sonst noch wer so, als ob euch jemand anschreit?
Wichtig ist mir auch herauszufinden, wie ich meine Entscheidung (und die scheinbaren Beweise dafür), nicht in die Wissenschaft „zu passen“ so framen kann, dass es sich nicht wie Abwertung anfühlt. Wie sehr es mich aber doch auch überrascht (und neidisch macht!), dass Menschen noch nie mit (von mir beschriebenen) sexistischen Behauptungen in Berührungen gekommen sind. Ich frage mich, in was für einer Blase ich lebe. (Ironie)
Bevor ich mehr dazu schreiben, muss ich mich erst noch mit ein paar Menschen dazu austauschen und verstehen, was hier eigentlich los ist.
…
Weiter in der Liste.
Ich möchte schreiben über
· meinen liebsten englischsprachigen Literatur-Podcast Between the Covers der mir tolle Autor*innen und Bücher und Gespräche über das Schreiben vermittelt und wie ich mir sofort Caren Beilins beide Bücher „Revenge oft he Scapegoat“ und „Blackfishing the IUD“ gekauft habe, weil wirklich jedes Wort, dass Caren Beilin sagt, sofort resoniert hat in meinem Brustkorb und zwischen meinen Ohren! (zB.: gendered medical gaslighting & activism in the chronic illness community)
· wie ich mir Jessica J. Lees Buch „Zwei Bäume machen einen Wald“ ausgeliehen habe und mir sofort auch „Mein Jahr im Wasser: Tagebuch einer Schwimmerin“ nachbestellt habe.
· wie ich einer Freundin meine Lieblingsserie aus den 90ern (damals meine erste Serie, die ich geschaut habe!) gezeigt habe: „My so called life“. Wie glücklich ich bin, dass die Serie „gut gealtert ist“ und dass in dieser Serie schon damals richtig viel richtig gut gemacht wurde! Hier eine meiner Liebingsszenen. Und: Wie ich merke, dass ich mich immer mehr mit der Elterngeneration identifiziere und solidarisiere, als mit Angela, Ricky, Ryan & Co.
· die vier intensiven Tage Kunstcamp anzuleiten, die 24 Stunden, die wir zusammen geschrieben haben, viel Journaling gemacht haben und private Texte geteilt haben. Wie eine Teilnehmende ihren Text vorgelesen hat und dann die halbe Gruppe geweint hat, weil vom Schmerz und Verlust und Leben wollen handelte und wie oft ich das WE gehört habe, dass Schreiben Dinge sichtbar macht, für die sonst kein Kanal offen ist. Das Motto des Wochenendes: Wir wollten Kunst machen und dann kam das Leben.
…
Jedes oben angeführte Thema hat einen eigenen notatka Eintrag verdient. Aber nicht heute. Für keinen ausführlichen Schreibprozess bin ich gerade bereit. Also ist das hier eine Art Preview, ein Cliffhanger und ein coming soon. All das kann euch früher oder später hier auf notatka begegnen. Oder auch nichts davon.
Eben hat mich meine Krähe besucht. Ich bin eine große Krähen Freundin und habe auch täglichen Krähen Besuch auf meinem Balkon (solange ich hinter der Scheibe bleibe und Nüsse auslege). Mit Krähen abzuschließen, macht gerade Sinn.
Schon lange möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es unfassbar intelligente Tiere sind, mindestens so klug wie Menschenaffen und Delphine. Krähen können sich Gesichter merken, sie spielen mit anderen Tieren und ärgern sie, können Töne und Wörter sprechen und sind absolute Community Tiere (meist monogam oder auch als Tanten und Onkel und Tonkel und Ankel beim Aufziehen und Erziehen jahrelang dabei) und trauern um Verstorbene. Für alle, die sich für Vogel interessieren, empfehle ich dieses wunderschöne Buch „Von Raben und Krähen“ von Britta Teckentrup. Leider haben wir Menschen kein gutes gemeinsames Zusammenleben mit Krähen gelernt und deshalb kann es auch brutale Zusammenkünfte und Missverständnisse geben. Gerade auch in dieser Jahreszeit bringen Krähen ihren Jungen das Fliegen bei und sie beschützen ihre Kinder und Community, vor allem vor Menschen. Da sie gelernt haben, dass Autos und Radfahrer den Tod für schwache Tiere bedeuten können. Am Freitag haben wir gemeinsam mit WORT/LAUT an der Dreisam auf Höhe vom E-Werk und ArTik geschrieben und eine Krähe dabei beobachtet wie sie auf dem Fahrradweg (auf der anderen Seite, der Fluß war zwischen uns und der Krähe) ganz aufgeregt ihrJunges verteidigt hat. Das hatte zur Folge, dass die Krähe vorbeifahrende Radfahrende angegriffen hat. Manche hat sie nur laut krächzend und klickend verfolgt, andere in die Schulter und in den Kopf gepickt. Eine Person hat sie wohl so aus der Fassung gebracht, dass diese die Kontrolle über das Rad verloren hat, gegen die Betonwand gefallen und gestürzt ist. Es musste ein Krankenwagen gerufen werden. Das war furchtbar, diesen Unfall mitzubekommen und ich hoffe sehr, dass es der Person gut geht. Gleichzeitig ist dieser Vorfall auch schwer zu beschreiben, da die Krähe so beeindruckend war. Sie hätte sicherlich ihr Leben für das Junge, dass nicht wegfliegen konnte, gegeben. Wahrscheinlich wäre es das Klügste gewesen, eine*n Falkner*in zu rufen und den Weg abzusperren, um so die Vögel und die Menschen nicht in dieses Missverständnis zu bringen. Das nehme ich mir für das nächste Mal vor, wenn ich solch eine Situation beobachte.
Habt einen guten Start in den Juni!
Mit besten notatka Grüßen,
oliwia