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Ich fühl´s nicht.

oliwia.substack.com

Ich fühl´s nicht.

Dem Patriarchat auf dem Dachboden begegnen und nur schwer abschütteln können. Aber: "Tochterschaft" schafft es an das DLL!

oliwia marta haelterlein
Jun 27, 2022
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Ich fühl´s nicht.

oliwia.substack.com

notatka numer 4 - kurz vor Juli.

Titel: Geklaut von Liv Strömquist.

Gefühle: Meine.

Buttrig und matschig fühle ich mich. Manchmal zwar mehr geschmeidig als zerstört, manchmal aber gleicht mein Gehirn einem bissig riechenden Sauerteig, der in einem Schraubverschluss klebrige Blasen schlägt. „Niemand hat gesagt, dass es einfach wird.“ Keine Ahnung, wer das wozu gesagt hat, aber ich kenne diesen Satz aus Büchern und aus Filmen und er ist passend.

Ich fühl´s gerade nicht, hier notatka zu schreiben. Ich fühl´s gerade nicht, überhaupt etwas zu schreiben und vermute, ich fühle es nicht, weil ich es nicht schreibe.

Strömqvist, Liv: “Ich fühl`s nicht”, Avant-Verlag, S. 108.

Anfang Juni war ich auf dem Dachboden in dem Haus, in dem ich über 18 Jahre gelebt habe. Dort lagen noch Sachen von mir verstreut, die ich durchsehen, mitnehmen und wegwerfen wollte, bevor das Haus im Juli ausgeräumt, entrümpelt, gereinigt, erneuert und neu-bezogen wird.

Eine Reise in diese Welt, dort zurück, fällt mir nie leicht, kostet mich viel Kraft und wirft mich oft (auch dieses Mal) für mehrere Wochen aus meiner gewohnten Bahn. Diese gewohnte Bahn ist nicht wirklich gewohnt, sonst würde es mich nicht so leicht raushauen. Diese Bahn ist viel mehr sehr neu und noch nicht eingefahren, die Spurrinnen verblasen leicht. Aber diese Bahn ist von mir selbst entschieden worden, so wie es mir versprochen wird: mit viel „Disziplin“, „Leistung“, „können“ und selbstverständlich Glück - so bin ich in charge.

Bei diesem Besuch auf dem Dachboden habe ich Meinungen von Haus-Bekannten gehört: Wie eine Frau zu sein hat, wie eine Tochter zu sein hat, wie eine Frau, die sich trennt, zu sein hat, wie eine Tochter, die sich trennt, zu sein hat, wie eine Tochter, die adoptiert ist, zu sein hat, wie eine Tochter, die nicht adoptiert ist, sondern nur den Namen bekommen hat, zu sein hat, wie eine Frau über 60 zu sein hat, wie eine Frau mit über 30 zu sein hat, wie eine Frau, die aus Polen kommt, zu sein hat, wie eine Frau, die mit ihrem Kind von einem anderen Mann aus Polen, kommt, zu sein hat, wo diese Frau wieder hin soll, was dieser Frau zusteht nach der Trennung, was dieser Tochter zusteht nach dieser Trennung, was diese Frauen, obwohl eine Mutter und die andere Kind, was diese Frauen nicht verstanden haben, dass diese Frauen nicht verstanden haben, dass sich Frauen so nicht zu verhalten haben, dass diese Frauen nicht verstanden haben, was sie sollen, was sie können und was sie nicht dürfen.

Bei diesem Besuch auf dem Dachboden habe ich Meinungen von Männern gehört: Wenn das meine Frau wäre, der würde ich es zeigen, wenn das meine Frau wäre, ich würde ins Gericht gehen, damit sie keinen Pfennig bekommt, wenn das meine Frau wäre, dann würde sie zerstören. Bei diesem Besuch auf dem Dachboden habe ich Meinungen und Handlungen von Männern gehört und gesehen, die für sie keine Konsequenzen haben. Worte und Gesten, die für sie keine Konsequenzen haben. Worte und Gesten, die dazu beitragen, dass diese Frauen zweifeln an ihren Entscheidungen und Möglichkeiten und die umstehenden Haus-Bekannten dazu einladen, sich Meinungen zu bilden.

Bei diesem Besuch auf dem Dachboden habe ich viel über Trennungen, Scheidungen, Gütertrennung, Notarbesuche, teure Rechtsanwaltsbriefe, Rentenlücke und Altersarmut von geschiedenen Frauen gehört: Wie Frauen ihr Leben lang gearbeitet haben, halbtags sozialversicherungspflichtig, ohne einen Monaten auch nur Arbeitslos zu sein, darüber 20 Jahre in Mini- und Midijobs verschwendet zu haben, jetzt unsichtbar in der Rentenberechnung, dazu zusätzlich als Mütter, Ehefrauen, Putzfrauen, tägliche (unbezahlt und auch unsichtbar in der Rentenberechnung) emotionale und Sorgearbeit betrieben haben, wie diese Frauen zu hören bekommen, sie haben ja nichts geschafft, sie waren faul, sie haben von dem Geld der Männer gelebt, es ausgegeben für Mode und Kosmetik und deshalb stehe ihnen auch jetzt kein Geld zu, wie diese Frauen jetzt kurz vor der Rente stehen, wie sie nicht wissen, wie ein Leben mit 700 € Rente gesund und sorgenfrei möglich ist, wie sie sich schämen, für die Ehen, die sie ausgehalten haben, wie sie sich schämen, so lange gedacht zu haben, dass müsse so sein, dass es alle so haben, dass es alle Frauen so aushalten, dass es eben das Los der Frau sei, dass sie sich dumm fühlen, wenn sie sagen, sie hätten sich keine Gedanken um die Zukunft gemacht, weil ihnen das nie beigebracht wurde und auch unter den Freundinnen nie eine darüber gesprochen hat, weil sie ja dachten, sie machen alles richtig und diese glücklichen Beziehungen, die gibt es doch eh nur im Fernsehen und Büchern, wie diese Frauen sich nicht erlauben krank zu sein, in eine Reha zu fahren, eine Therapie zu machen, sich krankschreiben zu lassen und zu weinen, wie diese Frauen sich Stress ersparen wollten, daher kein Geld für ihre Kinder erbeten haben bei den Erzeugern, diese nicht ständig anrufen wollten, um nachzufragen, warum der Unterhalt nicht kommt, wie sie sich nicht erklären können, wie dieser Mann sich so wenig verantwortlich fühlen kann für sein Kind.

Bei diesem Besuch auf dem Dachboden habe ich viel über Erbe erfahren, darüber, dass ich endlich keine Schulden erben werde, darüber, dass ich auch sonst nicht erben werde und somit auch schon anfangen sollte, Geld wegzulegen, auch wenn ich jetzt noch in einer gleichberechtigten Beziehung lebe. Es gibt Worte und Zuspruch: Du weißt ja, was du tust, deine Generation weiß, was sie tut, bei deiner Generation ist das nicht so wie bei uns. Ich denke an meine Oma, die immer gesagt hat: Eine Frau braucht ein eigenes geheimes Konto.  

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Mitte Juni:

In der Gegenwart, in meinen gewohnten Bahnen, ich fahre sie blind, weil ich weiß sie sind hier, aber ich sehe sie gerade nicht - kündigt mir ein Brief ab Oktober eine neue Bahn an.

Es ist offiziell:

Ab Oktober werde ich am DLL an meinem Buchprojekt mit dem Arbeitstitel „Tochterschaft“ schreiben. Seit Januar arbeite ich endlich intensiv und durch das VG-Wort Stipendium auch bezahlt, an dem Exposé, an der Recherche, an konkreten Kapiteln, bewerbe mich für Gelder, Residenzen und suche nach Möglichkeiten des gemeinsamen Schreibens, Austauschen und Weiterbilden.

Ich erhalte die Zusage vom DLL und ein Herzliches Glückwunsch! und ich fühl´s nicht.

Ich erinnere mich an die Motivation: Ich möchte lernen, wie ich so schreiben kann, dass es nach dem Text in meinem Kopf klingt. Es ist furchtbar frustrierend viele Ideen und Gedanken und Verästelungen im Kopf zu einem Text im Kopf zu haben und dann nicht zu wissen, wie diese feinstofflichen Impulse auf das Papier gebracht werden können. Andererseits aber habe ich auch eingesehen, dass ich es eben auch nie gelernt habe. Also woher soll ich es wissen, wie es geht? Wie so Vieles, ohne Gymnasium und ohne Akademiker*inneneltern.

Diese Einsicht mag vielleicht im ersten Moment gegen das mystische Geniekönnen und die kreativen und undurchdringlichen magischen Mächte der Autor*innen wettern, aber diese Einsicht nimmt mir viel Druck, dass ich ständig alles schon alleine können muss. Es hilft auch gegen diese Annahme: Es entweder schon in mir zu haben - wenn dem nämlich nicht so sei, dann würde ich es niemals erreichen. (Gleichzeitig finde ich schon, dass neben der harten Arbeit des Schreibens auf jeden Fall magische kreative und undurchdringliche Kräfte mitspielen.)

Ans DLL zu wollen, entspringt dem Wunsch nach einem Alltag und einer Deadline, etwas Konkretes von außen, wo ich mein Buchprojekt einbetten kann. Einen Alltag, wo mein Buch nicht die vierte oder fünfte Rolle spielt und ich nur noch völlig erschöpft dran sitze und aufgebe, weil Passagen und Szenen und Figuren nicht funktionieren, weil ich nicht weiß, wie ich es anders machen könnte. Ich wünsche mir ein Umfeld, wo Menschen davon wissen, dass ich schreibe, wo Menschen meine Texte lesen und ich ihre und wir gemeinsam darüber sprechen. Ein Umfeld, wo ich mir eine Art emotionale Hornhaut wachsen lasse, gegenüber Feedback und Kritik, sodass ich die Reaktionen nicht nur persönlich nehme, sondern konstruktiv nutzen kann.

Der Dachboden war unmissverständlich: Meine Vergangenheiten, die mich ständig ablenken vom Jetzt und meinen neuen gewohnten Bahnen, diese Meinungen von anderen, wie ich als Tochter zu sein habe und die Ausblicke in die Zukunft, wo kein Haus und kein Geld auf mich warten - können mich davon abbringen, nach Leipzig zu fahren, mich hinzusetzen und an meinem Buchprojekt zu arbeiten. Zu vertraut ist dieser Zustand auf dem Dachboden und größer könnte die Entfernung nicht sein zwischen diesem und der Welt hier auf notatka.

Die Sätze der müden Frauen, müde vom Arbeiten, müde vom Verheiratet sein, müde vom Ausräumen und Wegwerfen und Aufheben, müde von den Männern, die ihnen sagen, wie sie zu sein haben, dass ihnen nichts zusteht, dass sie jetzt zusehen sollen, wie sie alleine zurechtkommen, diese Sätze fühlen sich an wie meine Sätze. Sätze an mich gerichtet und gegen meine neue Bahn.

Ich habe eine Zusage vom DLL und ich erinnere mich, was die Motivation ist, dorthin zu wollen. Ich weiß, dass es eine Bahn ist, die ich mir vorgezeichnet habe und ich weiß, dass ich bereit bin für diese Bahn. Ich erinnere mich, wie ich beim Abschicken die große Freude gefühlt habe, wenn eine Zusage kommt. Ich erinnere mich an dieses Gefühl in der Vergangenheit und denke: Im Moment reicht diese Erinnerung aus. Ich lese die Zusage und fühl´s nicht, aber mein Hirn weiß, bis Oktober ist noch genug Zeit, um zu fühlen.

Bleibt geduldig und kommt gut aus dem Juni.

oliwia

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Kea
Writes Hinterhofgedanken
Feb 17

So wundervoll. So wundervolle Sätze und Gedanken. Inhaltlich wichtig und sprachlich so kraftvoll. Danke dafür!

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