Heute war ein guter Morgen zum Schreiben
Von einem Traum der mich weckt, einem Podcastgespräch, der 3. Auflage meines breitbeinigen Heftes, der Frage nach dem gegenwärtigen Lesen und Schreiben, "The Writer" und einer Kanne Oolong Tee.
Die Uhr zeigt 05:37 an. Es ist Mittwoch, der 21.12.2022. Morgen werde ich sagen: Heute war der kürzeste Tag und die längste Nacht.
notatka numer 8.
Ich wache auf, weil ich in meinem Traum eine Gruppe von Elternmenschen und deren Kinder nicht in den Griff bekommen habe. Ich habe (in einem mir jetzt nicht mehr bekannten Kontext) Sexualaufklärung angeboten und es kamen mehr Kinder mit Erwachsenen als gedacht. Ich habe vorgeschlagen, dass sich die Menschen in einem Kreis aufstellen und sich mit ihrem Namen vorstellen. Danach habe ich gefragt: Was fällt euch auf? Ich wollte darauf hinaus, dass wir alle in einem unterschiedlichen Alter sind, dass unsere Stimmen ganz verschieden klingen und die Körpergrößen sich unterscheiden, um so überzuleiten zur Gruppenarbeit zum Thema “Diversität der Genitalien”. Die Erwachsenen aber haben nicht zugehört, sich gegenseitig nicht, mir erst recht nicht. Ein Vater hat telefoniert während ich gesprochen habe und immer nur “Nein” geschrien, wenn ich ihn direkt angesprochen habe und seine Frau hat mir den Ratschlag gegeben, ich solle netter zu ihm sein, sonst boykottiert er mich und die gesamte Gruppe mit Absicht. Der Raum ist riesig, meine Stimme ist dünn und ich habe keinen Plan, wie ich diese Gruppe anleiten soll.
Ich wache auf und suche nach einer Lösung. Ich denke, vielleicht schlafe ich gleich wieder ein und kann weiter-träumen und diese anstrengenden Erwachsenen davon überzeugen, dass sexuelle Bildung wichtig ist. Ich überlege mir Argumente und wie ich die Gruppe in vier gemischte Kleingruppen einteile. Vielleicht kann ich zwei Gruppen den Penis mit Benennung aufmalen lassen und die zwei anderen Vulva und Vagina. Ich überlege mir, wie ich im Traum alle Bücher in diesem Raum erscheinen lasse, wie ich sie gerne in solchen Workshops bei mir habe und fertig beschriftete Karten und Flipcharts. Ich frage mich, ob es überhaupt möglich ist, das die Kinder gemeinsam mit den Erwachsenen das Benennen der Genitalien erlernen. Von wem ist dieses Gruppe so gemischt geworden? Ich bin nicht zufrieden mit der Situation und meinen Lösungen und schlafe vielleicht auch deshalb nicht wieder ein.
Ich liege im Bett und spüre, ich bin nicht mehr müde. Ich zähle im Kopf, wie viele Stunden ich geschlafen habe, ungefähr 7,5. Ich vermute, das ist genug. Auch wenn ich gerade gerne 10-12 schlafe. Ich liege noch ein paar Minuten im Bett und habe Lust zu schreiben. Gestern habe ich in mein Notizheft folgende Frage notiert: Wie geht es mir gerade? Und bin dabei auf eine weitere gestoßen: Warum schreibe ich nicht an meinem Buch weiter?
Ich stehe auf und mir fällt wieder ein, dass ich sehr gerne frühmorgens schreibe. Draußen regnet es, es ist noch dunkel. Ich mag es, wenn alles um mich herum noch schläft, ich ganz alleine bin, alles noch langsam und still ist, der Tag noch nicht begonnen hat. Vor mir sehe ich durchs Fenster auf den Wohnblock gegenüber: Gelbe und orangefarbene Rechtecke - ein hellerleuchtetes Treppenhaus und Hängelampen, die Räume für mich sichtbar machen. Eine Lichterkette an einem Balkon befestigt, die ihre Farben von Rot auf Weiß auf Grün wechselt, in einem mir unbekannten Takt.
06:32. Neben mir steht eine Kanne Oolong Tee mit Zitrone und Honig. Meine Duftlampe riecht nach Bergamotte und Orange. Coffee schläft in seinem Körbchen an der Heizung und ich bin eingewickelt in meine neue Heizdecke; Wünsche mir noch eine Wärmflasche unter den Füßen.
Dieses Jahr im Januar habe ich zwei Wochen in Esch in Luxemburg verbracht und mir dort bei morgendlichen Spaziergängen “Überwintern. Wenn das Leben innehält” (Original: “Wintering”) von Katherine May als Audiobook vorlesen lassen. Ich habe verstanden, warum es mir so schwer fällt im Winter, gerade im Dezember und Januar, Neues zu beginnen und mich zu motivieren, um Dinge voranzutreiben. Im Winter werde ich selten meinen eigenen Ansprüchen von Schnelligkeit, Konzentration und Menschen treffen gerecht.
Ich habe die letzten Jahre immer wieder beim Jahresabschluss in meinen Notizbücher ganz ähnliche Dinge geschrieben und gelesen. Der Winter ist mir nicht unangenehm, ganz im Gegenteil. Ich bin im Januar geboren und ich liebe den Schnee. Der Winter aber ist eine Zeit, in der ich langsam bin, in der mir kalt ist, in der ich mehr Ruhe und mehr Zuhause brauche. Ich fühle mich trotz mehr Klamotten dünnhäutiger und nehme mir Situationen und Menschen und mein eigenes Befinden mehr zu Herzen. Es ist eine Zeit, in der ich mich gerne zurückziehe, liege, schlafe und ausruhe.
Ich erstelle eine Abwesenheitsnotiz in meinem Mailprogramm und weise auf verlängerte Antwortzeiten hin. Ich bemerke, ich kenne mich mittlerweile ziemlich gut. Ich bin gar nicht so unberechenbar, wie ich früher vermutet habe. Der Winter ist für mich in gewisser Weise wie ein Abschließen und Neuanfang in einem. Ich schäle mich aus etwas heraus, dazu aber möchte ich nicht beobachtet werden. Ich bin sehr gerne mit mir alleine. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich selten einsam fühle. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich in meinem Alltag Kontakt zu vielen Menschen habe. Meistens habe ich sogar das Glück mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ich auch privat sehr schätze. Der Winter wird mir nur anstrengend und mein Körper schwächer und die Situationen und Menschen zu viel, wenn ich mich nicht verlangsamen kann, mich übernehme, zu viel plane, Neues beginnen möchte oder den Winter in einer fremden Stadt anstatt Zuhause, verbringe.
07:05 und eine zweite Tasse Oolong Tee. Die Krähen sind mittlerweile wach, aber es ist immer noch dunkel. Ich höre immer seltener Regentropfen an der Scheibe. Ein Güterzug, den ich sonst nie bemerke, fährt über die entfernten Gleise über die Dreisam.
Vor ein paar Wochen hatte ich ein Gespräch mit Felix Krause vom Bremer Literaturhaus Podcast. Es war eine schöne Unterhaltung über meine Arbeit und ich freue mich sehr diesen Podcast hier zu teilen:
Das besondere an diesem Gespräch ist, dass ich meine Vielfalt an Interessen und Beschäftigungen und Plänen mitteilen konnte. Leider ist es keiner dieser Literatur Podcasts, wie ich sie bei Between the Covers so liebe - weil dort nämlich die Gespräche Stunden dauern! - daher wurde natürlich viel rausgeschnitten. Aber ich konnte in diesem Gespräch sehr offen mich zeigen und beschreiben. Auf der einen Seite meine Arbeit als Kulturwissenschaftlerin sowie mit meiner (oft künstlerischen und kollektiven) Vermittlungsarbeit zu Themen rund um sexuelle Bildung, Feminismus, Mythos Jungfernhäutchen und feministischer Pornographie. Auf der anderen Seite meine literarische Arbeit, als Lesende, als Schreibende und als Studentin am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Außerdem war ich sehr überrascht, wie viel Vorarbeit Felix Krause in unser Gespräch gesteckt hat. Ich habe schon einige Interviews und Podcastgespräche erlebt, aber Felix war wirklich sehr gut vorbereitet. Er hat vieles von mir gelesen und gefunden und benannt. Sogar hier meine notatka! Ich bin dem Literaturhaus Bremen sehr dankbar für dieses Gespräch. Es ist nicht selbstverständlich eine Plattform und Sichtbarkeit in einer Literaturinstitution zu erhalten, um dort auch noch über Vulva, Pornographie und die eigenen literarischen Pläne zu sprechen.
Bevor ich zu den weiteren Plänen komme, aber noch etwas aus der Vergangenheit und Gegenwart: Es gibt eine 3. Auflage des breitbeinigen Heftes!
![](https://substackcdn.com/image/fetch/w_1456,c_limit,f_auto,q_auto:good,fl_progressive:steep/https%3A%2F%2Fbucketeer-e05bbc84-baa3-437e-9518-adb32be77984.s3.amazonaws.com%2Fpublic%2Fimages%2F1b91960c-60ba-4f20-b944-274294437d11_1737x1301.png)
Das Jungfernhäutchen gibt es nicht - Ein breitbeiniges Heft #2 (Maro Verlag und Illustrationen von der großartigen Aisha Franz) gibt es seit 2020 und seit 2022 bereits in dritter Überarbeitung und Auflage.
»Kulturell-gesellschaftliche Analysen wechseln sich dabei ab mit persönlicheren Reflexionen, immer begleitet von Franz’ knallig-bunten Illustrationen. Text und Gestaltung gehen dabei eine perfekte Symbiose ein, das Ganze fühlt sich angenehm zine-ig und hochwertig an.«
Hier ein kleiner Einblick, für alle die es noch nicht kennen:
08:08. Dritte Tasse Tee. Mein Magen knurrt und ich sehe grau-weiße Wolkengebilde neben den Hochhäusern. Coffee schmatzt und gähnt. Krähen fliegen krächzend, wie schwarze Striche, vor meinem Fenster auf und ab. Es wird heller und über Pläne schreiben drängt sich mir auf.
Die letzten Wochen habe ich mich viel mit der Frage beschäftigt, welche Texte ich warum lese und mag. Diese Frage ist verknüpft an meine eigentlichen Gedanken darüber, welche Texte ich selbst verfassen möchte. An welche Traditionen anknüpfen, wo mich stattdessen nur auf mich verlassen …
Ich nehme mir vor, im neuen Jahr eine notatka über How should one read a book - und How to read now - um Virginia Woolf und Elaine Castillo zu zitieren - zu verfassen. Darüber, welche Texte für mich und uns (wer ist eigentlich wir?) als literarisch gelesen, markiert, ausgezeichnet, prämiert werden, mit der Begründung, dass sie dramaturgisch funktionieren und wortkünstlerisch sehr gut sind. Im Moment arbeite ich seit ein paar Wochen gemeinsam mit Regisseurin Claire Till an The Writer, einem Theaterstück von Ella Hickson (hier ein tolles Gespräch mit der britischen Dramatikerin). Auch darüber werde ich im neuen Jahr berichten, bevor das Stück im März Premiere am Théâtre des Capucins in Luxemburg feiert. Wer das Stück vorher und auf deutsch und in Berlin sehen mag: Am Berliner Ensemble wird es auch im Januar noch laufen. Ich habe es Anfang Dezember dort gesehen und kann es auf jeden Fall sehr empfehlen.
In diesem Stück geht es nicht nur darum, wie der Theaterbetrieb für eine Frau (nicht) funktioniert, wie sehr auch das Patriarchat wütet im Zuhause der Schreibenden, aber auch hinter und vor der Bühne, sondern auch um eine funktionierende Form des Theaterstücks. Warum werden welche Geschichten als gut / richtig / verkaufbar definiert? Und von wem? Wie abstrakt oder aasbuchstabiert muss ein Theaterstück sein? … Es geht in diesem Stück viel auch um mich, ich lese viel darin auch von mir. Über die Oliwia, die vor über 10 Jahren an einem Theater zu arbeiten begonnen hat und was für Vorstellungen und Wünsche sie dorthin mitgebracht hatte. Es berührt mich sehr, (jetzt Dank meiner feministischen Haltung) im Nachhinein vieles neu zu verstehen. Und das heißt auch: mir selbst viele Situationen und Emotionen zu verzeihen, da ich unterscheiden kann, was das System verursacht hat und wo es meine persönliche Verantwortung war.
Mich hat eine Person erst kürzlich gefragt, ob ich jetzt, da ich am DLL bin und mein Buch schreibe, mit all meinen feministischen Themen aufhöre. Ich bin von dieser Frage irritiert. Wie kann ich mit meiner Haltung aufhören? Selbstverständlich ist mein Lesen und Schreiben und weiteres künstlerisches Schaffen immer von meinen queer*feministischen Perspektiven und Befreiungen geprägt. Und es werden immer mehr, nicht weniger.
08:28. Coffee fiept unter meinem Schreibtisch. Er singt morgens immer. Ich denke an meine Oma, die mit ihrem Hund Krecik immer gemeinsam einstimmt mit den Worten “śpiewamy!” und beide ins Jaulen übergehen, bis irgendwer am Tisch genug hat und um Ruhe bittet.
Meine Teekanne ist leer. Ich stehe auf.